Das grosse Trauerspiel, dessen einzelne Scenen die Geschichte des Unterganges des staufischen Kaisertums in Italien bilden, ist für kein Land von so unheilschweren und langwährenden Folgen gewesen wie das sdliche Italien. Sizilien, Apulien, Campanien, nach einer langen Zeit des Darniederliegens wieder aufblühend unter der Herrschaft der Normannen und ihrer Erben, der Staufer, schienen berufen die Wiege einer neuen italienischen Kunst und Kultur zu werden, der der Grösste der Grossen seiner Zeit, Friedrich II, den Stempel seiner gewaltigen Persönlichkeit aufdrücken sollte. Bei Benevent und Tagliacozzo sanken die Hoffnungen Unteritaliens ins Grab; mit den Staufern schwand die emporsprossende Herrlichkeit. Was haben die Anjous und ihre Nachfolger dem Ruhmestitel des staufischen Unteritaliens hinzuzufgen gewusst? Was ist unter ihnen von bleibendem und allgemeinem Werte auf knstlerischem Gebiete geschaffen worden? Betreten wir das heutige Apulien, so zeugen die Steine von dem Glanz der nor-mannisch-staufischen Zeit, und nur von dieser! Es ist als hätte ein Todesschlaf seitdem ber diesen Ländern geruht, als hätte die Zeit keinen anderen als einen zerstörenden Einfluss geltend gemacht.
und seinen hochragenden Kathedralen durchreist, sich wundern, dass hier mehr als anderwärts die Erinnerung an die goldene Zeit der Staufer, an Kaiser Friedrich II, lebendig ist. War das doch die einzige Zeit, in der diese stillen und fruchtbaren Gegenden einen Mittelpunkt der Weltgeschichte abgaben, die Residenz eines glänzenden und machtvollen Fürstenhofes bei sich sahen. Wen möchte es befremden, dass, als im Mrz vorigen Jahres die Nachricht von dem bevorstehenden Besuche Kaiser Wilhelms II sich in Apulien verbreitete, die alten Erinnerungen neu belebt wurden?
Man freute sich des Besuches eines Kaisers, in dem die apulische Bevölkerung mit südländischer Begeisterung den Nachfolger und Nachkommen des grossen Staufers feiern zu dürfen glaubte, eines Kaisers, der, wie man wusste, erfüllt war von dem lebhaftesten Interesse für die grossen Denkmale jener Glanzzeit apulischer Städte. Mit welcher Hingabe hat man sich da nicht an die Vorbereitung des Kaiserbesuches gemacht, mit welchem Eifer die alten staufischen Erinnerungen aufgefrischt, wo entsann man sich nicht einer urkundlichen oder monumentalen Beziehung zu dem grossen Staufer! Und welcher Schmerz und welche Enttuschung, als man erfuhr, dass die Triumphbögen umsonst errichtet, die Strassen umsonst ausgeschmückt waren, dass die Marmortafeln, die mit ehernen Buchstaben der Nachwelt von dem Kaiserbesuche zeugen sollten, zu früh angebracht waren!
Dieser begeisterte Festjubel konnte an Andria nicht vor-übergehen, Andria, das vor allen apulischen Städten ausgezeichnet ist durch die Verse, welche Friedrich II an die Stadt gerichtet haben soll, Verse, die noch heute am Tor den Ruhm der kaisertreuen Stadt verkünden: Andria felix nostris affixa medullis (1).
Und ist Andria selbst arm an staufischen Denkmälern, ärmer als die Nachbarstädte, so darf es sich rühmen, in seiner Umgebung, im eigenen Territorium, das stolzeste und kühnste der fridericianischen Schlösser zu besitzen, das unvergleichliche Castel del Monte. Indes auch die Stadt entbehrt keineswegs der staufischen Erinnerungen. Barg sie doch die Stätte, an der Friedrich II zwei seiner Gemahlinnen zur ewigen Ruhe bestatten liess. Im Mai 1228 starb hier die Kaiserin Jolande (2), Tochter König Johanns von Jerusalem, nachdem sie einem Sohne, Konrad IV, das Leben geschenkt hatle (3); und als 1241, im Dezember, Friedrichs II dritte Gemahlin Isabella von England in Foggia verschied, Hess Friedrich ihre sterblichen Ueberreste nach Andria zur Beisetzung überführen. So berichtet uns Richard von San Germano (4).
So vorzüglich die Quelle ist, welche uns die Beisetzung der Kaiserinnen in Andria meldet, so wortkarg ist sie hinsichtlich aller Einzelheiten. Ueber zwei Punkte, die für diese Untersuchung von entscheidender Wichtigkeit sind, schweigt der Chronist vollständig. Wo waren die Gräber und wie waren sie ausgestattet? Aus der knappen Angabe – apud Andriam – wird man zunächst auf den Dom in Andria schliessen, und diese Vermutung wird sowohl durch die französische Fortsetzung des Wilhelm von Tyrus wie von der Tradition bestätigt. An das heute vom Erdboden verschwundene Kloster S. Maria del Monte zu denken, bei dem Friedrich seit 1240 sein berühmtes Schloss erbaute, wie man früher meinte, erlaubt der Ausdruck nicht. Ueber die knstlerische Ausstattung der Gräber erfahren wir vollends nichts Näheres. Ueberhaupt hören wir von diesen Gräbern erst wieder, als der gelehrte Eifer der Neuzeit ihre Spuren aufzufinden sich bemühte. Ein Lokalforscher, der Propst D. Giovanni Pastore († 1806) (5), schreibt in. der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass nicht das geringste Anzeichen ihres Vorhandenseins (6), nachzuweisen wäre, aber er hat doch bereits Kenntnis der Tradition, die in der ver-schtteten und als Beinhaus benutzten Unterkirche die Grabstätte sucht. Zwei Menschenalter später fasste der Andrieser Historiker Don Riccardo d'Urso (7) den Entschluss selb-ständige Nachforschungen in der Unterkirche anzustellen.
Wir schulden es der Gewissenhaftigkeit dieses Autors, bei seinen Worten ein wenig zu verweilen, obwohl sich der Mitteilung seiner Beobachtungen etwas von dem unsicheren Flackern der Fackel mitgeteilt zu haben scheint, die ihm in dem modererfüllten Dunkel leuchtete. Er schildert das Grauenvolle seiner ersten Eindrücke unten und fhrt fort mit Worten, die wir, um das Tatsächliche nicht durch die Uebersetzung zu verschleiern, in ihrer Sprache mitteilen:
« … scesi per quella bocca sepolcrale di rimpetto alla Cantoria e con la guida di una face vidi quell’Ipogeo: dove in massa dormivano silenziosi, perché oppressi dal tempo, i figli della polvere … cercai barcollando su quelli ammonticchiati carcami, evocare al mio cupido sguardo quelle abbandonate memorie. Scopersi nelle sfigurate pareti molti contorni chiesastici, molte smussate corone di altari; e rimenando il timido piede pel lato destro d’ingresso incontrai un coacervo di tanti pezzi di fino intaglio; di mezzo al quale si elevavano due colonnette, le quali andavano a finire, sostenendo una base anco di delicato lavoro. Di lì non lungi eranvi altre due colonnette; ma scoperchiate mostravano aver sofferta ingiuria nel crollamento dell’edificio superiore. Non valsi a discernere, se questi rottami di semplice pietra, o di marmo pregevole; perch’eravi sparsa al di sopra una crosta nerognola … Mi persuasi essere questi i due avelli, che contenessero gli augusti avanzi delle due Imperatrici. Non debbe caderci dubbio però, che ai piedi dei monumenti ci stiano delle iscrizioni lapidarie; ma non è sperabile potersi vedere, atteso la immensa congerie dell’umana caducità, o sia delle tante ossa accatastate».
D'Urso sah also in der Unterkirche an zwei nicht weit auseinandergelegenen Stellen – das Wo? ist leider nicht genau angegeben – Skulpturreste und vier Säulchen, von denen zwei beschädigt waren. Er glaubte in ihnen Reste der tief verschütteten Grabmäler gefunden zu haben; unklar bleibt dabei, wie diese Skulpturteile an die Oberfläche der hohen Schuttmasse kamen; unklar bleiben alle Einzelheiten, und schliesslich scheint d'Urso selbst nicht ganz überzeugt, denn gleich darauf berichtet er über eine zweite, mit diesen Beobachtungen nicht leicht zu vereinende Tradition (8). Er erzählt da, dass nach der Angabe einiger die Gräber zur Zeit der angiovinischen Herrschaft aus kirchlichem Hasse gegen Friedrich II beseitigt worden seien: die sterblichen Ueberreste habe man ins Atrium überfhrt, die beiden weiblichen, in Stein ausgehauenen Figuren am Hauptportal stellten die Kaiserinnen dar; der Stein zwischen ihnen decke ihre gemeinsamen Ueberreste (9). Ferner versichert man, fährt d'Urso fort, dass ihre Grabmäler aus einheimischem Stein seien, mit Bildhauerarbeit in orientalischem Geschmack; sichtbar seien davon zwei Füsse, einer als Basis unter der Säule eines Weihwasserbeckens neben der Sakristei, der andere diene an Festtagen als Basis der Standarte.
D'Urso's Worte zeugen von der redlichen Absicht, alle Nachrichten und Beobachtungen zusammenzutragen, die er sich ber die Gräber beschaffen konnte. Lebhaft müssen wir bedauern, dass er auf die angeblichen Grabsteine im Atrium nicht nher eingegangen ist. Ob ihm selbst die Behauptung zu unwahrscheinlich vorgekommen ist? Das scheint aus seinen Worten herauszuklingen. Wir können sie nicht mehr nachprüfen; denn beim Neubau der Vorhalle des Domes 1844 wurden die betreffenden Skulpturen zerstrt. Zwar wollen sich einzelne bejahrte Einwohner Andrias noch der Grabsteine entsinnen, aber wenn ihre Erinnerungen an liegende Gestalten mit Kopfkissen und gekreuzten Händen richtig sind, so scheinen sie sich eher auf Grabdenkmäler jüngerer Zeit zu beziehen.
Die doppelte Ueberlieferung von Grbern in der Unterkirche und im Atrium hat sich bis in die neueste Zeit erhalten. Als im Jahre 1892 im Auftrage des italienischen Kultusministeriums der jetzige Bischof von San Severo, Mons. Merra (10), in die Unterkirche eindrang, begnügte er sich mit der Ueberzeugung, den Ort der Grabstätte gefunden zu haben; nach den Gräbern forschte er nicht weiter, da sie ja in angiovinischer Zeit zerstört und mit der Vorhalle des Domes gänzlich verschwunden wären (11).
Bei diesen halben Versuchen der Erforschung, die zu keinem Ergebnis führen konnten, blieb es, bis der bevorstehende Kaiserbesuch 1904 den alten Forschungseifer neu belebte und zu einer energischen Unternehmung führte. Der Bürgermeister von Andria, Adv. Vito Sgarra, und sein Bruder, der Provinzialrat Dr. Raffaele Sgarra, waren die treibenden Kräfte. Ihnen stand als Fachmann der Neapolitaner Architekt und Kunstschriftsteller Ettore Bernich (12). zur Seite. Die Stadt setzte bedeutende Mittel daran, und so schritt man zur gänzlichen Ausräumung der Unterkirche. Das Ergebnis war die Aufdeckung eines hochinteressanten Denkmals früher apulischer Architektur, die Auffindung zahlreicher Reste von Wandmalereien und Skulpturen und zweier Gräber.
Auf Wunsch des Herrn Geheimrat Prof. Kehr, der zu den ersten Augenzeugen der Ergebnisse der Ausgrabungen gehörte, wurde von Seiten des K. Preussischen Kultusministeriums der Verfasser zur Untersuchung der Funde nach Andria geschickt, eine Reise, der eine zweite folgte, als die Beseitigung späterer Einbauten in der Unterkirche neue Fundstücke zu Tage gefördert hatte. Die Liebenswrdigkeit, mit der ihm die Behörden in Andria entgegenkamen, wird der Verf. nicht genug rühmen können.
[Transkription des Textes von Arthur Haseloff “Die Kaiserinnengräber in Andria - Ein beitrag zur apulischen kunstgeschichte unter Friedrich II”, Verlag von Loescher & C.°, Rom, 1905. S. 1-7.]
(1) Woraus eine jüngere Version Andria fidelis … gemacht hat.
(2) Die Angabe P. I. M. Amato's (De principe templo Panormitano. Panormi 1728 p. 310 u. 312), Jolande sei in Palermo, im Sarkophag der Kaiserin Constanza, Gemahlin Heinrichs VI, bestattet, wird von Danieli (I regali sepolcri del duomo di Palermo riconosciuti e illustrati. Neapel 1784. S. 65 f.) widerlegt.
(3) Breve chronicon de rebus Siculis (ed. Huillard-Breholles Hist. dipl. Friderici II t. I p. 898): «Anno Domini M.CC.XXVIII, mense aprilis prime indictionis, imperatrix Elisabeth uxor Friderici imperatoris, filia regis Ioannis, apud Andriam civitatem Apulie XXVI [XXVII] predicti mensis aprilis peperit filium, quem conceperat ex viro suo imperatore Friderico … Mater autem sua decimo die postquam peperit eum, apud civitatem eamdem migravit apud Deum» und Ryccardi de sancto Germano notarii chronica ad a. 1228: «Imperatrix apud Andriam filium parit nomine Chunradum, que non multo post, sicut Domino placuit, ibidem in fata concessit.» Die beiden Hauptquellen wissen also nur von dem Tode der Kaiserin in Andria. Dass sie im Dom von Andria beigesetzt wurde, erfahren wir aus einer französischen Fortsetzung des Wilhelm vox Tyrus (ed. Huillard-Breholles I. c. t. III p. 483) «Ysabel l'empereris fille dou roy Jehan acoucha d'un filz et morut en la gesine. Li filz fu sains et haities et ot non Conrat; et ce avint en la terre d'Andre ou elle fu enterree hautement et honnoureement en la mere yglise de la vile, si come il aferoit a cele qui estoit empereris de Rome et roine de Jerusalem et de Cesile». Vgl. Böhmer-Ficker Reg. n. 1725 a.
(4) Ryccardus 1. c. ad a. 1241: «Mense decembris imperatrix aput Fogiam obiit et aput Andriam sepelitur. Vgl. Böhmer-Ficker Reg. n. 3240 a. Friedrichs Schreiben vom 30 Januar 1242 an seinen Schwager, König Heinrich von England, gibt nur den Todestag (1 Dezember). Vgl. Böhmer-Ficker Reg. n. 3264.
(5) Storia Mss. o descrizione della città di Andria. Benutzt von Mons, Emanuele Merra, Le tombe delle due imperatrici sveve Jolanda ed Isabella e la cripta della cattedrale d'Andria. Andria 1904. Nach Carlo Villani, Scrittori ed artisti Pugliesi (Trani, 1904 S. 756) verfasste Pastore seine Besehrei-bung um 1773.
(6) So auch Troyli (Istoria generale del Reame di Napoli. Neapel 1747. II. S. 469), der jedoch nur von der Bestattung Jolandes in Andria weiss.
(7) Storia della città di Andria. Napoli 1842. S. 68f.
(8) Pastore berichtet ausfhrlich von dieser Ueberlieferung. Merra, a. a. O. S. 25 ff.
(9) «Quelle due signore effigiate in lapidi, che guardano l’ingresso della porta maggiore del Duomo; che le ceneri loro siano state rimescolate e poste al di sotto di quella lapide che giace nel mezzo di esse».
(10) A. a. O. S. 13. F.
(11) Zur Sache vergl. auch Huillard-Bréholles, Recherches sur les monuments et l’histoire des Normands et de la maison de Souabe dans l’Italie méridionale (Paris 1844) p. 66 f. und E. Winkelmann Kaiser Friedrich II (Jahrbücher der Deutschen Geschichte) Bd. II (Leipzig 1897) S. 13 not. 2, sowie F. Gregorovius in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1875 Nr. 327 und Apulische Landschaften (Wanderjahre in Italien V) Leipzig 1877. S. 137, 158 u. 184.
(12) Bernich, La cripta del Duomo di Andria in «Napoli Nobilissima». XIII, 1904, S. 183 ff – Herrn Bernich verdanken wir eine Zeichnung des Planes der Krypta, welche er in dein angezogenen Aufsatz in «Napoli Nobilissima» S. 185 reproduzirt hat, eine kurze Relation, welche aber ber Allgemeinheiten nicht hinausgeht, und einige Zeichnungen seiner Rekonstruktionsversuche der Grabmäler, von denen wir hier besser absehen. – Auf die in italienischen Zeitungen (Giornale d'Italia von Rom, Pungolo und Mattino von Neapel und Corriere delle Puglie von Bari) mit südlicher Leidenschaft ausgefochtene Polemik über die Echtheit der Kaiserinnengräber einzugehen, haben wir keinen Anlass.