Die Gräber.

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Arthur Haseloff (1872-1955)

Die Kaiserinnengräber in Andria
Ein beitrag zur apulischen kunstgeschichte unter Friedrich II

Verlag von Loescher & C.°, Rom, 1905.

 

Die Gräber.

Seit Jahrhunderten ist die Unterkirche ausschliesslich als Grabstätte und Beinhaus benutzt worden, wie ja auch sonst allenthalben unter der Kirche Gräber angebracht sind. Obwohl sie auch die Grabstätten der Vornehmen barg, nahm sie keineswegs den architektonischen Charakter eines Mausoleums an. Sie wurde zu der Stätte des Schreckens, von der die früheren Besucher, die ersten Erforscher der Kaiserinnengrber, mit Entsetzen sprechen. Nach den Ausgrabungen von 1904 sind die sterblichen Ueberreste dieser neueren Zeit spurlos verschwunden. Nichts von bleibender Bedeutung wurde gefunden, nur eine kleine Anzahl kirchlicher Medaillen, geringe Metallreste und Tonlampen: so wenig monumental und so vergänglich waren all diese Gräber. Als man auf den Boden der Unterkirche gekommen war, stiess man auf drei Gräber. Eines, das zwei Skelette enthielt, war nur in den Boden eingegraben ohne Steineinfassung, es ist jetzt ganz verschwunden, kann somit aus unserer Betrachtung ausscheiden. Es bleiben somit nur zwei, und diese zwei sind es, in denen man die Gräber der beiden Kaiserinnen gefunden zu haben glaubt.

Beide Gräber liegen in der Vorhalle, das eine links von der Treppe an der Südwand, zwischen der Wandsäule und dem Eckpilaster (24).
Das Grab besteht aus einer trapezförmigen, gemauerten Einfassung, an die sich eine besondere rechteckige Vertiefung für das Haupt anschliesst; der Boden ist der natürliche. Das Grab ist 1.62 m. lang, wozu noch das Kopfende von 25 X 27 cm kommt. Die Breite beträgt an dem Schulterende 55, am Fussende 48 cm., die Tiefe 65cm. Die völlig schmucklose Deckplatte ist erhalten, aber beim Oeffnen des Grabes geborsten. Das Innere des Grabes scheint unberührt, das Skelett ist vollständig erhalten, aber stark zersetzt, namentlich der Schädel (25). In viel schlechterem Zustande ist das zweite Grabmal an der Westwand zwischen Säule und dem Eckpfeiler (26), mit dem Haupte der Säule zu. Die Form des Grabes ist dieselbe, nur sind die Abmessungen grösser: 1.87 m. lang bei 44, bezw. 41 cm. Breite und einem Kopfstück von 11 X 16 cm. Die Deckplatte dieses Grabes ist verloren, das Grab selbst war mit Schutt und Gebeinen ausgefüllt, so dass die Herkunft des Skelettes, das heute in dem Grabe ruht, durchaus unsicher ist.

Jetzt dient bei jedem Grabmale eine Holzplatte zum Verschluss. Die Schlüssel werden im Rathause verwahrt.

Für die Frage, ob wir in diesen Gräbern die Ruhestätte der Kaiserinnen erkennen dürfen, ist, vorausgesetzt, dass bei den Grabungen mit genügender Sorgfalt vorgegangen wurde, das Eine von grösster Bedeutung, dass nur die zwei würdig hergerichteten Gräber in der Unterkirche gefunden sind. Irgend eine äussere Beglaubigung fehlt; weder ist eine Inschrift noch irgend eine Beigabe vorhanden. Es ist freilich mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die kaiserlichen Gräber schon seit längerer Zeit nicht mehr unberührt sind, dass sie bereits früher erbrochen und ausgeraubt worden sind. Man braucht dafür nicht erst die Anjous verantwortlich zu machen, Andria hat auch seither genug Kriegsstürme über sich hinwegziehen sehen. Immerhin wollen die Eröffner der Gräber bei der jetzigen Ausgrabung beim Abheben des Grabdeckels einen intensiven aromatischen Geruch verspürt haben, den sie von der Einbalsamierung der Leichen abzuleiten geneigt sind; und wenigstens das eine besser erhaltene Grab, in dem das ganze Skelett liegt, machte auf die ersten Besucher, darunter Professor Kehr, im April 1904 einen durchaus ursprünglichen Eindruck.

Von nicht geringer Bedeutung wäre eine Untersuchung des Skeletts im erst beschriebenen Grabe, wenn sie zu einer zweifelausschliessenden Bestimmung des weiblichen Geschlechts der hier Bestatteten führen würde (27). Dr. Raffaele Sgarra, der die Ausgrabung in erster Linie betrieben hat, ist überzeugt, dass die beiden Skelette der zarten Knochenbildung wegen Frauen angehörten, ja er glaubt sogar weiter gehen zu können und aus der Form des in dem letztbeschriebenen Grabe gefundenen Schädels (von sehr zweifelhafter Echtheit) die Vermutung begründen zu können, dass sie die englische Prinzessin gewesen wäre. Es wird gestattet sein, diesen Aufstellungen gegenüber mit dem abschliessenden Urteil zurückzuhalten, bis die überaus schwierigen Fragen von einer Autorität auf anthropologischem Gebiete nachgeprüft sind.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass auch andere Frauen von Rang in der Kathedrale von Andria beigesetzt waren. Bereits erwähnt wurde die in der Oberkirche gefundene Marmorsäule mit der Grabschrift einer Gräfin Emma. Ferner ist die Grabschrift der Gräfin Beatrix von Andria er- halten, der Tochter König Karls II von Neapel († 1330 (28). Es sind das gewiss nur einzelne aus den vielen, die in völlige Vergessenheit versunken sind; es können also sehr wohl auch andere Damen in der nterkirche bestattet sein. Unter diesen Umständen ist es nötig, dem Einwnde zu begegnen, dass die beiden einfachen Gräber der Kaiserinnen nicht würdig seien. Der Gedanke an die Königsgräber in Palermo wird immer wieder solche Bedenken wachrufen. Auch der Hinweis auf die mögliche Verbindung mit einem Kenotaph hilft nicht aus diesen Schwierigkeiten heraus, denn gerade die Palermitaner Prunksarkophage sind ja bekanntlich keine Kenotaphien, sondern umsehliessen die sterblichen Ueberreste der dort Beigesetzten. Dagegen muss betont werden, dass an der hervorragenden Stelle gewiss nur Personen von hervorragendem Rang – zumal Frauen! – bestattet waren. Ferner verschiebt sich der Eindruck der mangelnden würdigen Zurichtung der Gräber, sobald man den Blick von dem aussergewöhnlichen Luxus der sizilianischen Gräber ablenkt und bedenkt, wie dieser Gräberluxus erst im späteren 13. Jahrhundert in Italien allgemeine Verbreitung erlangt. In Deutschland zumal ist gerade die Einfachheit der Bestattung selbst für die höchstgestellten Personen dieser Zeit bezeichnend: man gedenke des schlichten Befundes bei den Ausgrabungen der Kaisergräber im Dome zu Speier. Dort ruhen die Salier in Steinsarkophagen ; die staufische Zeit aber setzt das Plattengrab an die Stelle des Sarkophages. Kaiserin Beatrix, die Gemahlin Friedrich Barbarossa's, ist in einem solchen aus aufrecht gestellten Sandsteinplatten hergerichteten Grabe beigesetzt. Backsteinmauerung mit Rand- und Deckplatten von Sandstein umschloss die Leiche der kleinen Agnes, Kaiser Friedrichs I Tochter; aus Stein aufgemauert und mit einer Sandsteinplatte verschlossen war das Grab König Philipps von Schwaben (29).

Wenn nun die Form der Andrieser Plattengräber einige weitere Anhaltspunkte zu gewähren scheint, welche der Ansetzung in die Zeit Friedrichs II zum mindesten nicht widersprechen, so fallen solche Argumente neben der Zweizahl der gleichartigen Gräber an hervorragender Stelle und der traditionellen Bestätigung besonders schwer ins Gewicht. Wir rechnen dahin die verhältnismssig schmale und dabei leicht trapezförmige Anlage der Gräber (30), die den Gewohnheiten der Folgezeit nicht entspricht, und die Anbringung eines besonderen Kopfstückes. Ein Vergleich der Wettinersarkophage (1146-1217) im Peterskloster auf dem Lauterberg bei Halle (31) beweist, dass derartige Ansätze zu anthropoider Bildung der Särge im 12. - 13. Jahrhundert weit verbreitet waren. Nach Murcier's Beobachtungen kommt dergleichen wenigstens in Frankreich nicht vor dem 12. und nicht nach dem 13. Jahrhundert vor (32). Ob und wieweit die besonderen unteritalischen Verhältnisse eine Modificierung dieser Sätze erheischen, muss dahingestellt bleiben.

Jedenfalls sprechen alle diese Umstände eher für als gegen die Echtheit der Gräber. Wenn die andere Version der Tradition freilich von einer Zerstörung der Gräber durch die Anjous und der Ueberführung der Gebeine in die Vorhalle berichtet, so wird man über diesen Einwand ohne grosse Schwierigkeit hinwegkommen; denn diese Angaben haben keine grosse historische Wahrscheinlichkeit für sich. Bestand doch sogar das kleine Grabmal, das Herz und Eingeweide Friedrichs II barg, vor dem Hauptportal des Doms von Foggia bis zum Erdbeben von 1731! (33) Ueber die sehr zweifelhafte Echtheit der Grabsteine in der Vorhalle haben wir uns bereits oben geäussert.

Somit durften die Ergebnisse der Ausgrabungen wohl alle die, welche voller Begeisterung nach den Gräbern forschten, von dem vollen Erfolge ihrer Bemühungen überzeugen. Wer mit kühlem skeptischen Blick herantritt, wird – vorausgesetzt, dass das weibliche Geschlecht des Skeletts richtig bestimmt ist – die Wahrscheinlichkeit zugeben müssen, aber immer wieder betonen, dass ein zweifelausschliessender Beweis für die Auffindung der Kaiserinnengräber nicht erbracht ist.

[Transkription des Textes von Arthur Haseloff “Die Kaiserinnengräber in Andria - Ein beitrag zur apulischen kunstgeschichte unter Friedrich II”, Verlag von Loescher & C.°, Rom, 1905. S. 18-22.]


NOTE

(24) Vgl. Taf. 1 und Abb. 1.

(25) Die Länge beträgt, von nicht-fachmännischer Seite gemessen, 1.46 m.

(26) Vgl. Abb. 1.

(27) Das andere Grab kommt aus den erwähnten Gründen nicht in Betracht.

(28) Ihr Grabmal ist zerstört, der Sarg aber erhalten und noch in neuerer Zeit eröffnet worden. D'Urso, a. a. O. S. 86.

(29) Grauert, Die Kaisergräber im Dom zu Speyer in Sitz.- Ber. der philos.- philol. und der hist. Klasse der K. bayr. Akad. der Wissenschaften 1900 (München 1901) S. 556 ff.

(30) Otte Handbuch der christlichen Kunstarchäologie I. S. 336 f.

(31) Gustav Köhler. Das Kloster des heiligen Petrus auf dem Lauterberge bei Halle und die ältesten Grabstätten des sächsichen Fürstenhauses. Dresden 1857. – Vgl. Quast in der Zeitschrift für christl. Archäologie und Kunst II, S. 269-280. – Vergl. Otte, a. a. O. S. 347 f.

(32) A. Murcier, La sépulture chrétienne en France d'après les monuments du XIe au XVIe siecle (Paris 1855) S. 13.

(33) Schulz, a. a. O. S. 211. – Casimiro Perifano, Cenni storici su la origine della città di Foggia. F. 1831. S. 75.