Die in der Unterkirche gefundenen Bildwerke

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Arthur Haseloff (1872-1955)

Die Kaiserinnengräber in Andria
Ein beitrag zur apulischen kunstgeschichte unter Friedrich II

Verlag von Loescher & C.°, Rom, 1905.

 

Die in der Unterkirche gefundenen Bildwerke.

Die mutmasslichen Kaiserinnengräber sind völlig schmucklos, und keine Spur deutet darauf hin, dass irgendwelche monumentalen Aufbauten mit ihnen in Verbindung gestanden haben; die primitive Roheit der sie umgebenden Architektur, die mangelhafte Liehtzufuhr, die Niedrigkeit des Raumes machen es durchaus nicht wahrscheinlich, dass hier je etwas anderes als diese Gräber gewesen sei. Indessen beim Wegräumen des Schuttes sind eine grosse Anzahl z. T. sehr eigentümlicher Skulpturüberreste zutage getreten; die Mehrzahl und gerade die interessantesten Stücke gehören ersichtlich zu einem grösseren Ganzen, und die glücklichen Finder haben in ihnen sogleich die Fragmente zweier monumentaler Grabdenkmäler erkennen wollen. Versuchen wir zunächst aus den Trümmern ein Bild zu gewinnen, was einst gewesen, wobei wir die Frage offen lassen, ob diese Trümmer nur der Unterkirche entstammen; denn bei jeder späteren baulichen Veränderung unten oder oben können sie als Baumaterialien oder Schuttmassen aus der Oberkirche hinuntergelangt sein.

Taf. IV.Gewölbeansatz in der Baldachinecke (Phot. Bambocci - Bari)     Abb. 5. Gewölbeansatz in der Baldachinecke (Phot. Bambocci - Bari)     Taf. V. Gewölbeansatz in der Baldachinecke (Phot. Bambocci - Bari)
[Taf. IV. - Abb. 5. - Taf. V.: Gewölbeansatz in der Baldachinecke (Phot. Bambocci - Bari)]

Als Ausgangspunkt der Betrachtung der Hauptstücke müssen wir einen Kalksteinblock nehmen, der sich als Eckstück eines gewölbten Baldachins zu erkennen gibt (Taf. IV). An der Aussenseite zeigt der Block die Ecke, an der zwei Bogen des Baldachins zusammenstossen; die Höhe des Blocks beträgt 53.5 cm.; an der Kante ist die untere Hälfte abgearbeitet, so dass eine eigenartige Vertiefung entstanden ist, in die einst ein plastisches oder architektonisches Glied eingriff. Oberhalb dieser Vertiefung zieht sich eine Rille weiter hinauf. Von den beiden Bögen, die sich an dieser Ecke treffen, ist der rechte rauh gelassen, der linke trägt einen Ornamentstreif von 13 cm Breite: ein oval geschwungener Rankenstengel schliesst sich oben zu einer in das Oval hineingekehrten Blattpalmette zusammen, zu deren Seite zwei Adler mit umgewendeten Köpfen sitzen, so dass das Ovalinnere völlig ausgefüllt ist (Taf. VI, a). Die Ovale durchflechten sich, in die Zwickel springt jedesmal ein länglichspitzes Blatt vor. Der Ornamentstreif ist auf der inneren Bogenseite nicht begrenzt, auf der äusseren begleitet ihn ein allmählich sich verbreiternder halbmondförmiger Bogenstreif. Von der Innenseite gesehen (Abb. 5), zeigt der Block die Rückseite der beiden Bogenstücke, des ornamentierten und des rauh gelassenen, und zwischen ihnen den Ansatz eines grätigen Kreuzgewölbes.

Wir haben somit das rechte, hintere Eckstück eines Baldachins mit höchstens drei bearbeiteten Schauseiten vor uns. Von der Adlerseite des Baldachins sind noch vier Stücke vorhanden. Wie alle Bogenstücke die nicht unmittelbar Eckstücke sind, sind sie ohne Zusammenhang mit der inneren Wölbung gearbeitet.

Taf. VI a. Ornamente vom Baldachin (Phot. Bambocci).   Taf. VI b. Ornamente vom Baldachin (Phot. Bambocci).   Taf. VI c. Ornamente vom Baldachin (Phot. Bambocci).
[Taf. VI. a, b, c - Ornamente vom Baldachin (Phot. Bambocci)]

Abb. 11. Kapitäl und Baldachinecke.
[Abb. 11. Kapitäl und Baldachinecke.]

Abb. 8. Halbsäulenkapitäl, gefunden in der Unterkirche.
[Abb. 8. Halbsäulenkapitäl, gefunden in der Unterkirche.]

Abb. 6. Gesimsstück, gefunden in der Unterkirche
[Abb. 6. Gesimsstück, gefunden in der Unterkirche.]

Die entsprechende vordere (rechte) Baldachinecke ist nicht vorhanden. Wie sie aussah, lässt sich indes aus der gegenüberliegenden, vorderen linken Ecke erschliessen (Taf. V). Dieses Stück ist seiner ganzen Gestalt nach dem vorbeschriebenen entsprechend, auch in den Massen ähnlich (54.5 cm. hoch), jedoch sind nur kleinere Bogenstücke angearbeitet, überdies ist der Block geborsten; der Gewölbeansatz, die Vertiefung an der Ecke finden sich wie dort. Der Hauptunterschied besteht darin, dass hier die beiden äusseren Bögen plastischen Schmuck empfangen haben, dass also hier zwei Schauseiten zusammenstossen. Das Ornament des rechten Bogens ist eine wellenförmig bewegte Ranke, von der sich regelmässig Stengel mit grösseren und kleineren Rosetten ablösen. Von diesem Bogen sind im ganzen acht Stücke erhalten (Taf. VI, b).

Abb. 7. Bruchstücke, gefunden in der Unterkirche.
[Abb. 7. Bruchstücke, gefunden in der Unterkirche.]

Die linke Bogenseite bringt ein reicheres Ornament. Die wellenförmig bewegte Blattranke verzweigt sich in ihren spiralfrmigen Aufrollungen zu mehreren Blütenstengeln und in regelmässigem Wechsel ist ein Vogel oder ein Vierfüssler dabei an diesen Blüten zu picken oder in die Ranken zu beissen. Von diesem Friese sind acht Fragmente erhalten (Taf. VI, c). Bei den späteren Nachforschungen wurde auch das hintere Eckstück gefunden, das dem mit den Adlern entspricht und ebenfalls nur eine Schauseite zeigt; das Stück ist mehrfach geborsten und weniger gut erhalten als das andere (Abb. 11).

Ausser diesen Baldachinfragmenten wurden nun eine Anzahl weiterer Kalksteinfragmente gefunden, die möglicherweise zu demselben Aufbau geöhrt haben. Vor allem eine leicht gewölbte Platte (32 X 34.5 cm.). Ihr Ornament (Taf. VII, a) zeigt als Mittelstück eine sechsblättrige Rose, die genau dem Stil des einen Baldachinfrieses entspricht. Diese Rose steht in einem Kreise, in den zwei Bänder so hineingeschlungen sind, dass sie innerhalb des Kreises zwei sich berschneidende Vierecke bilden. Die Schlingen, die das eine dieser Vierecke mit dem Kreise verbinden, sind aussen wieder mit Blten besteckt. In seiner gesamten Erscheinung erinnert das Ornament an die aus der altbyzantinischen Kunst in die langobardische übergegangene Form des Korbbodengeflechtes. Das zweite hierhergehörige Stück ist eine Reliefplatte (Taf. VII, b) mit Resten einer Darstellung des schreitenden geflügelten und nimbierten Löwen, des Symbols des Evangelisten Markus (29.2 X 26 cm.). Erhalten sind der Kopf, ein Stück des Halses, ein Flügel und eine Pranke. Das dritte Stück (Taf. VII, c) ist das Unterteil einer sitzenden Figur (Höhe und Breite etwa 12.5 cm., Tiefe 11 cm.); die Gestalt ist dargestellt mit nackten Füssen und einem langen Gewnde, das in einen Saum mit Dreiecksmusterung ausläuft; die Kniee sind gespreizt. Es ist unschwer, sich die Figur als kauernde und tragende Gestalt zu ergänzen, wofür weiter unten Beweise beigebracht werden.

Zu diesen Kalksteinfragmenten der Unterkirche gesellen sich eine grössere Anzahl anderer Fundstücke, teils in Marmor, teils in Stein, bei denen eine Zugehörigkeit zu dem Baldachin unwahrscheinlich oder völlig ausgeschlossen ist. Erstens ein marmornes Gesimsstück von 32.5 cm. Breite, in dessen Hohlkehle ein Drache liegt: sein Kopf ist verloren, der Sehwanz geht in eine Eckpalmette aus, aus der sich nach der anderen Seite des Blockes wieder ein Drachenschweif herauswindet (Abb. 6). Die Fortsetzung fehlt. Zweitens ein marmornes Kapitälfragment mit einem grossen Akanthusblatte (Abb. 7), drittens ein Stück einer gedrehten Säule (Abb. 7). Viertens ein Halbsäulenkapitäl (Fig. 8) in zwei Stücken (18.5 cm. im Quadrat) ; sein einziger Schmuck waren vier grosse, sich an den Ecken aufrollende Voluten. Zu diesem Halbsäulenkapitäl könnte ein Basis aus Stein (Abb. 7) gehören von einfachster Form, eine Platte und ein Wulst mit Eckblatt (18 cm. breit und 15 cm. hoch). Die weiteren Fundstücke sind zum grossen Teile mehr oder minder formlos: ein keulenförmiges Marmorstück, möglicherweise einst ein Bein, ein Stück Rundbogen mit grobem Dreiecksornament, ein profiliertes Stück, ähnlich den in Apulien üblichen Treppengeländern, ein Giebelansatz, der aus einem gotischen Fenster oder drgl. stammen könnte, u. a. Endlich eine fragmentierte Grabinschrift des 14. Jahrhunderts.

Taf. VII a. Gewölbte platte mit Kreisornament.a Taf. VII b. Symbol des Ev. Markus.b Taf. VII c. Sitzende figur. (foto Bambocci - Bari).c
[Taf. VII. Skulpturreste in der Unterkirche der Kathedrale zu Andria: a – Gewölbte platte mit Kreisornament; b - Symbol des Ev. Markus; c - Sitzende figur (Pht. Bambocci - Bari)]

Mit den Fundstücken der Unterkirche sind von Anfang an zwei marmorne Kapitäle in Beziehung gesetzt worden, die sich in der Oberkirche erhalten haben. Das eine (Taf. VIII, a) ist nahe dem Eingange zur Sakristei als Basis ines Weihwasserbeckens vermauert, bei dieser Gelegenheit ist leider die Rückseite abgemeisselt worden. Es besteht aus vier grossen Akanthusblättern von scharfzackigem Schnitt, auf denen je zwei kleine Löwen hocken, deren Köpfe wie Voluten vorspringen. Die Deckplatte zeigt einen eekig stilisierten Perlstab. Das andere Kapitäl (Taf. VIII, b) ist wesentlieh bizarrer in der Form; es besteht aus einer unteren Reihe von Akanthusblättern, zwischen denen gewundene Stengel hervorkommen, die zu einer zweiten Reihe grosser fächerförmiger Blätter hinaufführen; daneben steigen frei gearbeitete, tierkrallenartige Stengel zu den Ecken empor, die mit Rosetten verziert sind. Die Deckplatte trägt einen Schmuck von Palmetten oder Bandwerk. Die Masse betragen 42 cm. für die Deckplatte, 20 cm. für den Durchmesser.

Taf. VIII a. Spätromanische Kapitäle in der Kathedrale (Phot. Bambocci - Bari). a   Taf. VIII b. Spätromanische Kapitäle in der Kathedrale (Phot. Bambocci - Bari).b
[Taf. VIII. a, b - Spätromanische Kapitäle in der Kathedrale zu Andria (Phot. Bambocci - Bari)]

In der Oberkirche sind weiteere Skulpturüberreste nicht vorhanden, die mit den Funden unten in Verbindung gebracht werden könnten. Dagegen gelang es Bernich, in einem Privathause, der Casa Montenegro, das früher dem Kapitel gehörte, vier Säulen nachzuweisen, die zweifellos aus der Kathedrale dorthin verschleppt sind. Zwei, die vollständig erhalten sind, stehen noch dort im Treppenhause (Taf. IX), während zwei verstümmelte in die Unterkirche zurückgebracht worden sind. Von den vollständigen Säulen ist die eine glatt, die andere gedreht. Ausserdem sind zwei Stücke eines Säulenschaftes mit Zickzackornamentik (Abb. 9), erhalten, die zu einer dritten Säule gehrt haben. Erhalten sind ferner alle vier Kapitäle und Basen. Alle Kapitäle sind unter sich verschieden; durchweg haben sie zwei Blattreihen. Die Form der Blätter und die Verkleidung des Kernes des Kapitäls zwischen ihnen wechseln in jedem Falle. Bei einem der Kapitäle haben die Eckblätter eine muschelartige Form, [Taf. 9 a1], an einem anderen gleichen sie Rosetten [Taf. 9 a2], die eine Art Pinienzapfen umschliessen. Bei den beiden Kapitälen der Casa Montenegro sind die Blattformen reiner bewahrt. Nur in einem Falle ist der Abacus durch einen Zickzackstreifen verziert.

Taf. IX. - Kapitäle in der Unterkirche der Kathedrale zu Andria a1 Taf. IX. - Kapitäle in der Unterkirche der Kathedrale zu Andriaa2 Taf. IX. - Kapitäle in der Casa Montenegro zu Andriab1 Taf. IX. - Kapitäle in der Casa Montenegro zu Andriab2
[Taf. IX.: A - Kapitäle in der Unterkirche der Kathedrale zu Andria; B - Kapitäle in der Casa Montenegro zu Andria (Eigene Phot.)]

Abb. 9. Bruchstück einer ornamentierten Säule.
[Abb. 9. Bruchstück einer ornamentierten Säule.]
Abb. 10. Unterseite des Kapitäls.
[Abb. 10. Unterseite des Kapitäls.]

Die Form der Basen unterliegt gleichermassen Schwankungen (Abb. 10). Die quadratische Grundplatte trägt auf einer Art Zahnschnitt einen achteckigen oder runden sehr gedrückten Wulst, der durch eine tiefe Hohlkehle von einem zweiten, steileren Wulst getrennt ist, der zu dem eckigen oder runden Schafte der Säule überführt. Die beiden Basen mit dem runden unteren Wulst haben ein Eckblatt.

Die vier Säulen gehören ersichtlich zusammen, wenngleich bei der heutigen Zusammensetzung die Masse nicht ganz stimmen. Von den bei den vollständigen Säulen in der Casa Montenegro misst die eine 1.64, die andere 1.60 m. mit Basis und Kapitäl. Die Grösse der Deckplatte ist übereinstimmend 28 X 28 cm., der Durchmesser etwa 14 cm.

Die Zugehörigkeit zu dem Baldachin wird begründet mit der Uebereinstimmung des Materials und der Masse. Der Durchmesser der S«ule würde allerdings zu den Bogenstücken passen (Abb. 11). Ausserdem tragen die Säulen eine eiserne Seele und wenigstens eine der Baldachinecken ein Dübelloch, das für eine solche bestimmt war. Die kunstgeschichtliche Seite der Frage wird später zu erörtern sein.

[Transkription des Textes von Arthur Haseloff “Die Kaiserinnengräber in Andria - Ein beitrag zur apulischen kunstgeschichte unter Friedrich II”, Verlag von Loescher & C.°, Rom, 1905. S. 22-29.]